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In den heutigen Tagen kommen wir um den Wahlkampf nicht herum. Sobald wir den Fernseher einschalten, das Radio anmachen, die Zeitung aufschlagen – oder im Internet unterwegs sind. Die Bundestagswahl ist omnipräsent.

Dabei jagt eine Aussage eines Politikers, die nächste – es werden Interviews gegeben, TV-Auftritte organisiert, die Spitzenkandidaten besuchen Firmen, Kreisverbände oder tauchen in den Krisengebieten der Flut auf.

Aber was wird uns dabei erzählt?

Fotograf Günter Lietzmann erdachte diesen fiktiven Dialog  zwischen dem damaligen Regierungssprecher Armin Grünewald und dessen Sohn. (Veröffentlicht am 01.10.1977 in der Süddeutschen Zeitung)

Er soll uns als Beispiel dienen, wie Sprache genutzt werden kann um uns zu manipulieren – gerade zur Zeit, in der der Bundestagswahlkampf in vollem Gange ist, sollte wir nicht nur genau zuhören – sondern auch darüber nachdenken, was gesagt wird – ohne es zu sagen….

 

“Papa, unser Lehrer hat mir heute zu verstehen gegeben, dass er nicht ausschließen will, dass ich das Klassenziel unter den derzeit gegebenen Umständen möglicherweise nicht voll erreichen könnte.

Er hat dabei angedeutet, dass dies besonders im fremdsprachlichen Bereich auch durch einen Mangel an speziellen Maßnahmen meinerseits verstärkt worden sei. Außerdem hat er durchblicken lassen, auch andere Lehrer hätten ihm signalisiert, meine verbale Beteiligung sei noch außerordentlich ausbaufähig.”

 

Der einigermaßen erschütterte Vater verlor schnell die sonst übliche Zurückhaltung. “Soll das heißen, dass du sitzen bleibst, weil du in Englisch und Latein nichts getan hast und dich insgesamt zu wenig am Unterricht beteiligst?”

 

“Diese Formulierung, Papa ist sicher überspitzt. Ich würde meinen, dass die auf uns zukommenden Probleme auch durch eine sehr undifferenzierte Analyse meiner Zurückhaltung seitens der mich unterrichtenden Lehrer zu erklären ist. Natürlich übersehe ich dabei nicht, dass mir unreflektiertes Auswendiglernen von Wörtern einer fremden Sprache, die völlig beziehungslos nebeneinander stehen , nicht eben liegt.”

 

“Du hast also zu wenig Vokabeln gelernt?”

 

“Ich bin der Auffassung, dass man mit dieser sehr pauschalen Fragestellung dem doch sehr komplizierten Problem kaum gerecht wird, Diese Ansicht wird übrigens von allen meinen Freunden geteilt. Wir sind auch der Meinung, dass die anstehende Problematik nicht durch unglaubwürdiges Moralisieren oder gar Drohen gelöst werden kann. Dagegen versprechen wir uns eine motivationsfördernde Wirkung von finanziellen Anreizen, die natürlich nur langsam greifen würde. Wir überschätzend die bildungspolitischen Auswirkungen solcher finanziellen Stimulanzien durchaus nicht, sehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber keine praktikableren Möglichkeiten.”

 

“Du möchtest also nicht nur deine Ruhe, sondern auch eine Erhöhung des Taschengeldes?”

 

Ich frage mich, welches politische Amt der Sohn heute inne hat? Möglicherweise ist er ja Gesundheitsminister geworden, oder wie sein Vater Pressesprecher…

 

Jedes mal, wenn ich in den heutigen Tagen die Nachrichten einschalte, muss ich an dieses erfundene Gespräch denken – und wie wir Leser, Zuschauer, Hörer immer wieder durch Worthülsen, Verdrehungen und Verklausulierungen hinters Licht geführt werden sollen.